Gottfried Keller                     Alles oder nichts

1819 – 1890

Ja, du bist frei, mein Volk, von Eisenketten,
Frei von der Hörigkeiten alter Schande;
Kein Hochgeborner schmiedet dir die Bande,
Und wie du liegen willst, darfst du dir betten!

 

Doch nicht kann dies dich vor der Herrschaft retten,
Die ohne Grenzen schleicht von Land zu Lande;
Ein grimmer Wolf in weichem Lammsgewande,
Schafft sie zum Lehn sich all' bewohnte Stätten.

 

Wenn du nicht völlig magst den Geist entbinden
Von ihres Dunstes tödlicher Umhüllung,
Nicht tapfer um der Seele Freiheit ringen:

 

So wird der Feind stets offne Tore finden,
All deinem Werke rauben die Erfüllung,
Und jede Knechtschaft endlich wiederbringen!

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     An A. A. L. Follen

1819 - 1890

Nimm diese Lieder, Lobgesang und Klagen,
Wie sie die bunte Jahreszeit gebracht!
Wie mir der Himmel wechselnd weint' und lacht',
Hab' ich die Lyra regellos geschlagen.

 

Im Sande knarrt der Freiheit goldner Wagen,
Es ist ein müssig Schreien Tag und Nacht;
Betäubt, verworren von der Zungenschlacht,
Zeigt sich der Beste schwach in diesen Tagen.

 

Uns mangelt des Gefühles edle Feinheit,
So Schwung und Schärfe leiht dem Schwert im Fechten,
Das hohe Wollen und des Herzens Reinheit.

 

Klar sind sich nur die Schlimmen und die Schlechten,
Sie suchen sich und scharen sich in Einheit,
Entsagend dumpf der Ehre und dem Rechten!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Auf die Motten

1819 – 1890

"Wo ist ein Volk, so frei von allen Plagen,
Die andrer Völker traurig Erbteil sind,
Ein glücklicher nutzniessrisch Heldenkind,
Als unser Schweizervölklein zu erfragen?

 

Und doch, wie fiebernd seine Pulse schlagen!
Für seiner Freiheit Überfülle blind,
Hascht übermütig es nach leerem Wind,
Wann enden seine undankbaren Klagen?"

 

So sprechen jene flink gelenken Motten,
Die so gemütlich in dem Rauchwerk nisten,
Dem warmen, köstlichen, und es zernagen.

 

"Nur eben euch gilt es noch auszurotten
(So sprechen wir, die radikalen Christen),
Mit lindem Klopfen aus dem Pelz zu jagen!"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Clemens Brentano, Kerner und Genossen

1819 – 1890

"Was sind das für possierliche Gesellen
In weissen Laken und mit Räucherpfannen?
Ob sie nach Schätzen graben? Geister bannen?
Sie lassen sonderbare Töne gellen!

 

Sahst du dem einen rotes Blut entquellen,
Indes dem andern grosse Tränen rannen?
Sie huschen sacht, gespensterhaft von dannen
Auf dieser Zeiten grundempörten Wellen.

 

Auch scheinen Schild' und Schwerter sie zu tragen,
Von Holz, und um die Stirn ein dürr Geflecht
Von Reisig, draus die feinsten Rosen ragen?"

 

Sie ziehen gen die Sonne ins Gefecht;
Poeten sind's, so lass sie ungeschlagen!
Denn solche, weisst du, haben immer recht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Dankbares Leben

1819 – 1890

Wie schön, wie schön ist dieses kurze Leben,
Wenn es eröffnet alle seine Quellen!
Die Tage gleichen klaren Silberwellen,
Die sich mit Macht zu überholen streben.

 

Was gestern freudig mocht' das Herz erheben,
Wir müssen's lächelnd heute rückwärts stellen;
Wenn die Erfahrungen des Geistes schwellen,
Erlebnisse gleich Blumen sie durchweben.

 

So mag man breiter stets den Strom erschauen,
Auch tiefer mählich sehn den Grund wir winken
Und lernen täglich mehr der Flut vertrauen.

 

Nun zierliche Geschirre, sie zu trinken,
Leiht, Götter! uns, und Marmor, um zu bauen
Den festen Damm zur Rechten und zur Linken!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Den Zweifellosen

1819 – 1890

I

 

Wer ohne Leid, der ist auch ohne Liebe,
Wer ohne Reu', der ist auch ohne Treu',
Und dem nur wird die Sonne wolkenfrei,
Der aus dem Dunkel ringt mit heissem Triebe.

 

Bei euch ist nichts, als lärmendes Geschiebe,
In wildem Tummel trollt ihr euch herbei,
Messt aus und schliesst den Zirkel sonder Scheu,
Als ob zu hoffen kein Kolumb mehr bliebe!

 

Euch ist der eigne Leichnam noch nicht klar,
Ihr kennet nicht den Wurm zu euren Füssen,
Des Halmes Leben nicht auf eurem Grab;

 

Und dennoch kränzt ihr schon mit Stroh das Haar
Als Eintagsgötter stolz euch zu begrüssen -
Der Zweifel fehlt, der alte Wanderstab.

 

 

 

 

Wer ohne Schmerz, der ist auch ohne Liebe,
Wer ohne Leid, der ist auch ohne Treu,
Und dem nur wird die Sonne wolkenfrei,
Der aus dem Dunkel ringt mit heißem Triebe.

 

Bei euch ist nichts als lärmendes Geschiebe,
In wildem Tummel trollt ihr euch herbei
Und messt das Erdreich ohne heil'ge Scheu,
Als ob zu hoffen kein Kolumb mehr bliebe!

 

Euch ist der eig'ne Leichnam noch nicht klar,
Ihr kennet kaum den Wurm zu euren Füßen,
Die Blume nicht, die sprosst aus eurem Grab.

 

Doch hüpfet ihr und krönt mit Stroh das Haar,
Gedankenlos als Götter euch zu grüßen;
Der Zweifel fehlt - und das bricht euch den Stab!

 

II

 

Es ist nicht Selbstsucht und nicht Eitelkeit,
Was sehnend mir das Herz grabüber trägt;
Was mir die kühngeschwungne Brücke schlägt,
Ist wohl der Stolz, der mich vom Staub befreit?

 

Sie ist so eng, die grüne Erdenzeit,
Unendlich aber, was den Geist bewegt!
Wie wenig ist's, was ihr im Busen hegt,
Da ihr so satt hier, so vergnüglich seid!

 

Und wenn auch einst die Freiheit ist errungen,
Die Menschheit hoch wie eine Rose glüht,
Ihr tiefster Kelch vom Sonnenlicht durchdrungen:

 

Das Sehnen bleibt, das uns hinüberzieht,
Das Nachtigallenlied ist nicht verklungen,
Bei dessen Ton die Knospen sind erblüht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Der Schulgenoss

1819 – 1890

Wohin hat dich dein guter Stern gezogen,
O Schulgenoss aus ersten Knabenjahren?
Wie weit sind auseinander wir gefahren
In unsern Schifflein auf des Lebens Wogen!

 

Wenn wir die Untersten der Klasse waren,
Wie haben wir treuherzig uns betrogen,
Erfinderisch und schwärm'risch uns belogen
Von Aventuren, Liebschaft und Gefahren!

 

Da seh' ich just, beim Schimmer der Laterne,
Wie mir gebückt, zerlumpt ein Vagabund
Mit einem Häscher scheu vorübergeht - !

 

So also wendeten sich unsre Sterne?
Und so hat es gewuchert, unser Pfund?
Du bist ein Schelm geworden - ich Poet!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Die GoethePedanten

1819 – 1890

"Nur Ordnung, Anmut!" tönt es immerdar.
Wer spricht von Ordnung, wo die Berge wanken?
Wer spricht von Anmut, während die Gedanken
Noch schutzlos irren mit zerrauftem Haar?

 

Noch kämpfen wir, durchringend Jahr um Jahr,
Noch tut uns not ein scharf, ob unschön Zanken;
Durch dieses Zeitenwaldes wirre Ranken
Lacht eine Zukunftsau noch nicht uns klar.

 

Und Goethe ist ein Kleinod, das im Kriege
Man still vergräbt im sichersten Gewölbe,
Es bergend vor des rauhen Feindes Hand;

 

Doch ist der Feind verjagt, nach heissem Siege
Holt man erinnrungsfroh hervor dasselbe.
Und lässt es friedlich leuchten durch das Land.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Die Hehler

1819 – 1890

Ihr nennt uns Träumer, Schächer, blinde Toren,
Wenn redlich wir die Möglichkeit erstreben!
Ja, eure Namen habt ihr uns gegeben;
So merket auf mit hochgehobnen Ohren!

 

Wir haben uns bescheidentlich erkoren,
Zu lichten dieses dornenvolle Leben;
Ihr laßt verschmachtend uns gen Himmel schweben,
Wo ihr schon lang das Bürgerrecht verloren!

 

Und wenn die Sterne uns geheim erzählen
Von neuem Leben und Unsterblichkeit,
Was geht das euch denn an zu dieser Zeit?

 

Braucht ihr darum gestohlnes Öl zu hehlen,
Das unsrer Tage Dämmerung erhellt,
Indes den Fuß ihr setzt auf diese Welt?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Die Tellenschüsse

1819 – 1890

Ob sie geschehn? Das ist hier nicht zu fragen;
Die Perle jeder Fabel ist der Sinn,
Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin,
Der reife Kern von allen Völkersagen.

 

Es war der erste Schuss ein Alleswagen,
Kind, Leib und Gut, an köstlichen Gewinn:
"Blick her, Tyrann! Was ich nur hab' und bin,
Will ich beim ersten in die Schanze schlagen!

 

Und du stehst leer und heillos, wie du bist,
Und lässest fühllos dir am Herzen rütteln,
Und spiegelst lächelnd dich in meinem Blut?

 

Und immer: Nein? - Verlaufen ist die Frist!
Verflucht sei deines Hauptes ewig Schütteln!
O zweiter, heil'ger Schuss, nun triff mir gut!"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Eidgenossenschaft

1819 – 1890

Wie ist denn einst der Diamant entstanden
Zu unzerstörlich alldurchdrungner Einheit,
Zu ungetrübter, strahlenheller Reinheit,
Gefestiget von unsichtbaren Banden?

 

Wenn aus der Völker Schwellen und Versanden
Ein Neues sich zu einem Ganzen einreiht,
Wenn Freiheitslieb' zum Volke dann es einweiht,
Wo Gleichgesinnte ihre Heimat fanden:

 

Wer will da wohl noch rütteln dran und feilen?
Zu spät, ihr Herrn! schon ist's ein Diamant,
Der nicht mehr ist zu trüben und zu teilen!

 

Und wenn, wie man im Edelstein erkannt,
Darin noch kleine dunkle Körper weilen,
So sind sie fest umschlossen und gebannt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Ein früh Geschiedener

1819 – 1890

Er war geschaffen, durch das All zu schweifen
Mit hellem Mute und gestählten Sinnen,
Zu lauschen, wo des Lebens Quellen rinnen,
Und forschend jeden Abgrund zu durchstreifen.

 

Hinaus, hinüber, wo die Palmen reifen,
Zog es ihn mächtig jeden Lenz von hinnen;
Von des Planeten höchsten Gletscherzinnen
Gelüstet's ihn, den Äther zu ergreifen.

 

Er blieb gefesselt an das tiefe Moor
Theologie, die Notdurft zu erwerben,
Im Nacken hart der Armut scharfe Klauen.

 

Da öffnet ihm der Tod das Sonnentor,
Der Jüngling säumte nicht, das Licht zu schauen
Und jungfräulichen Geistes hier zu sterben.